Dramaturgin Bettina Fischer über die beiden Stücke des Abends
Sinnlich fliessende Abstraktion in Drifting Out
Die Choreograf*innen des Abends haben sich der Thematik auf sehr unterschiedliche Weise angenähert. Iratxe Ansa und Igor Bacovich haben ein abstraktes, fliessend tänzerisches Stück choreografiert. Innerhalb eines reduzierten Bühnenbildes, das die Ausweglosigkeit der Situation symbolisiert, bewegt sich das Ensemble energetisch fliessend und höchst dynamisch über die Bühne. Tänzer*innen finden sich zu Trios, Quartetten oder Gruppenchoreografien, die, einer unsichtbaren Macht folgend, immer wieder mit Präzision ausgeführte Akzente setzen. Obgleich Iratxe Ansa und Igor Bacovich das Thema abstrakt angehen, sind sie keineswegs von der Realität losgelöst. Vielmehr erforschen sie durch ihr Konzept von Bewegung in einem sich verändernden Raum eine andere Methode der Wirklichkeitsdarstellung. Ihre Protagonist*innen leiden und erleiden eine für sie noch unfassbare Bedrohung und geben ihren Emotionen durch figurative Elemente Ausdruck. In ihrem Stück wirkt das physisch-körperhafte ihres Bewegungsmaterials in seiner sinnlichen Konkretion.
Skurriles Spiel mit Versatzstücken unserer Realität in The Moths
Die Britin Caroline Finn stellt dem eine Herangehensweise gegenüber, die sich durch symbolhafte Verdichtung und mitunter beissendem Spott der Thematik nähert. Sie dokumentiert unsere krisenbehaftete und -gebeutelte Gegenwart, indem sie übertreibt, verfremdet und ein skurriles Spiel mit Zitaten und Versatzstücken unserer Realität auf die Bühne bringt. Die Protagonist*innen finden sich in ritualbehafteten Situationen wieder. Sie sind Teil eines absurden Trauermarsches, kämpfen mit widerspenstigen Regenschirmen oder desinfizieren sich masslos. Wie Motten, die sich vom Licht angezogen fühlen, tanzen auch sie unaufhaltsam ihrer eigenen Katastrophe entgegen. Finns choreografisch-szenischer Ansatz dokumentiert eine seltsame Normalität und wirkt gleichzeitig so absurd wie poetisch, so komisch wie tragisch. Das Bewegungsrepertoire, das immer wieder auch an banale Alltagshandlungen erinnert, lässt Bilder des Absurden entstehen. Bilder, in denen es weniger darum geht, wie wir zu dieser Katastrophe beitragen, sondern eher darum, wie sich der Verlust der Verbindung zur Natur auf uns und unsere Instinkte auswirkt. Die Choreografin selbst sagt: «Es ist ein Teufelskreis. Je weiter wir uns von der Natur entfernen, desto mehr gewöhnen wir uns daran, ohne sie zu leben, und desto weniger sind wir bereit, sie zu retten. Wenn wir unseren Weg zurück zueinander finden könnten, statt blindlings einem selbstzerstörerischen Pfad zu folgen, könnten wir vielleicht beginnen, unsere Verbindung zur Natur und zu uns selbst wiederherzustellen.»
Den vollständigen Text von Bettina Fischer können Sie im Programmheft zu «The Loss of Nature» lesen.