Lieben Sie Brahms! – Der Berner BRAHMS-ZYKLUS
Sämtliche Brahms-Symphonien sind über die Spielzeit 2022/23 verteilt mit ganz unterschiedlichen Dirigentinnen und Dirigenten in Bern zu erleben – eine gute Gelegenheit, das sinfonische Schaffen von Johannes Brahms mit frischen Ohren zu hören und seine Entwicklung als Komponist von Symphonien nachzuvollziehen. Der Weg zu seiner ersten Symphonie war lang und steinig. Warum?
Aller Anfang ist schwer
Die Entstehung der Symphonie Nr. 1 kann durchaus als «schwere Geburt» bezeichnet werden. Über rekordverdächtige 14 Jahre lang war Johannes Brahms mit der Komposition dieses Werkes beschäftigt, die ihn geradezu an den Rand der Verzweiflung brachte. Aber wie hatte alles begonnen? Johannes Brahms, seit seiner Kindheit bestens in den Fächern Klavier, Musiktheorie und Komposition ausgebildet, trat als junger Mann regelmässig als Pianist und Klavierbegleiter auf. Im Frühjahr 1853 unternahm er eine Konzertreise mit dem ungarischen Geiger Eduard Reményi. Im Rahmen eines Konzerts in Hannover lernte Brahms den zwei Jahre älteren damaligen königlichen Konzertmeister Joseph Joachim kennen. Joachim war ein musikalisches Schwergewicht und international bestens vernetzt. Er riet Brahms dazu, mit Robert und Clara Schumann, beides Komponierende und einflussreiche Persönlichkeiten der Musikwelt, Kontakt aufzunehmen.
Power-Couple Schumann
Am 30. September 1853 kommt es in Düsseldorf zur ersten Begegnung zwischen Brahms und den Schumanns. Bis dahin hat Brahms überwiegend Solostücke oder Werke für kleinere Besetzungen komponiert, aus denen er den Schumanns vorspielt. Die Begeisterung der Schumanns über das 20-jährige Ausnahmetalent Brahms ist gross: «Der kommt wie eigens von Gott gesandt!», schreibt Clara, die weltbekannte Pianistin und achtfache Mutter, in ihr Tagebuch. Brahms bleibt einen ganzen Monat lang in Düsseldorf und es entwickelt sich eine enge freundschaftliche und künstlerische Beziehung zwischen den dreien. Auch physisch ist die Anziehung nicht gering: Brahms hat «auch im Äusseren alle Anzeichen an sich, die uns ankündigten, das ist ein Berufener.» Nach der ersten Begegnung mit Brahms überschüttet Robert Schumann den jungen Freund mit Vorschusslorbeeren in der von ihm gegründeten «Neuen Zeitschrift für Musik». In einem Artikel mit dem Titel «Neue Bahnen» schreibt Schumann über Brahms: «Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor.» Brahms spürt den grossen Erwartungsdruck, der auf ihm lastet und entgegnet Schumann: «Das öffentliche Lob, das Sie mir spendeten, wird die Erwartung des Publikums auf meine Leistungen so ausserordentlich gespannt haben, dass ich nicht weiss, wie ich demselben einigermassen gerecht werden kann. Vor allen Dingen veranlasst es mich zur grössten Vorsicht bei der Wahl der herauszugebenden Sachen.»
Der grosse B
Brahms weiss, dass von ihm erwartet wird, sich den grossen Formen zu widmen und eine Symphonie zu komponieren. Tatsächlich schreibt Robert Schumann 1854 an Joseph Joachim: «Nun – wo ist Johannes? Lässt er noch keine Pauken und Drommeten erschallen? Er soll sich immer an die Anfänge der Beethovenschen Symphonien erinnern; er soll etwas Ähnliches zu machen suchen.» Doch allein der Gedanke an Ludwig van Beethoven lähmt Brahms. So schreibt er an den Dirigenten Hermann Levi: «Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen {Beethoven} hinter sich marschieren hört.»
Befreiungsschlag
Es folgt ein quälend langer Kompositionsprozess. Mehrere sinfonische Versuche scheitern. Erst 1862 beginnt die Planung zur Symphonie Nr. 1 Gestalt anzunehmen. Es sollte allerdings noch 14 Jahre dauern, bis diese Pläne zur Symphonie ausgearbeitet sind. Dann aber gelingt Brahms buchstäblich ein Paukenschlag: Seine Symphonie Nr. 1 öffnet mit den hämmernden Schlägen der Pauke, die in ihrem unerbittlichen Drängen an Beethovens Symphonie Nr. 5 erinnern, gleichzeitig aber auch wie Befreiungsschläge wirken. Doch selbst nach ihrer erfolgreichen Uraufführung 1876 in Karlsruhe hing der Schatten Beethovens über der Rezeption der Symphonie Nr.1: Wohlwollend bemerkte etwa der Dirigent Hans von Bülow, Brahms habe mit seinem Werk die 10. Symphonie Beethovens komponiert. Beethoven hin oder her: Brahms hatte den Bann gebrochen und war nun innerlich bereit, weitere Symphonien zu komponieren, die ihm im Folgenden wesentlich leichter und schneller von der Hand gingen.
Davon kann man sich im Verlauf der Saison bei den Konzerten unseres BRAHMS-ZYKLUS selbst überzeugen!
Pavel B. Jiracek
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30' vor Vorstellungsbeginn
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