Grossartig und absolut trist
Die Anglistin und Shakespeare-Expertin Elisabeth Bronfen im Gespräch mit der Dramaturgin Felicitas Zürcher über historische Hintergründe und Macbeth als radikales Subjekt. Das Interview in voller Länge finden Sie im Programmheft zur Inszenierung.
Shakespeares „schottisches Stück“ entstand 1606, kurz nach der Krönung des neuen Königs James I 1603, dem Sohn der hingerichteten Maria Stuart, der endlich England und Schottland vereinte. Wie passt dieses düstere Stück als Feier eines neuen Königs?
Zum einen ist es ein wichtiges Zeichen, dass im Moment, in dem England und Schottland vereint sind, mit dem „schottischen Stück“ eine Rückbesinnung auf eine frühere Zeit in der Schottischen Geschichte geschieht. Es wird von der Krönung aus zurück geblickt in die Vorgeschichte. Im Stück gibt es verschiedene Momente, die die Verbindung zwischen England und Schottland zeigen. Zum anderen hat sich James sehr für das Übernatürliche interessiert, hat ein Buch über Dämonologie und Hexerei geschrieben. Die Geisterhandlung, die Halluzinationen, die Fragen um Schuld … all das passt in eine Auseinandersetzung mit der Dämonologie des frühneuzeitlichen Denkens. Diese beiden Punkte erklären, warum das ein Stück für James ist. Unter Elisabeth hätte dieses Stück wenig Sinn ergeben.
Das Stück schildert Aufstieg und Fall des schottischen Generals Macbeth. Der historische Macbeth hat aber wenig mit der Titelfigur des Stückes zu tun. Warum hat Shakespeare das so sehr verändert?
Der reale Macbeth hat mehr als zehn Jahre erfolgreich regiert. Im Stück löst Macbeth im Moment, in dem er an die Macht kommt, einen Bürgerkrieg aus. Aus einem Blutbad kommend, schafft er ein Blutbad, um in einem Blutbad zu enden. Das ist politologisch interessant. Man kann Macbeth als einen ausser Rand und Band geratenen, mordlüsternen Politiker lesen. Ich würde ihn aber als radikales Subjekt bezeichnen: Er übertritt die Gesetze, überschreitet die Ordnung, um an die Macht zu kommen. Er ist ein früher Revolutionär. Das ist für die politische Ordnung, die unter James etabliert werden soll, gefährlich. Königsmorde sind eine reale Bedrohung, nicht nur in England. Die Macht von Elisabeth war fragil, ebenso die Macht von James. Sie können alle nicht beweisen, dass sie legitime, von Gott auserwählte Herrscher sind. Insofern ist die irrsinnige Aggressionslust von Macbeth, das Überspringen von Hierarchien gefährlich, gerade weil es eine politische Realität darstellte.
Gibt es eine Begründung dafür, dass Macbeth König Duncan ermordet? Und gibt es einen Schimmer von Hoffnung, dass Macbeth etwas Besseres bringen könnte?
Es gibt Hinweise darauf, dass Duncan kein wirklich guter König ist. Er hat zu wenig Distanz zu seinen Beratern und keine Kontrolle über sie. Er besitzt keine politische Klugheit, ist zu gutmütig. Er steht in einem Krieg, den er nicht diplomatisch verhindern konnte. Weder die Feinde von aussen kann er abwehren, noch die im Innern in Schach halten. Es stimmt etwas nicht in Schottland, und das ermöglicht Macbeth. Er ist ein Symptom davon. Aber man kann nicht sagen, dass er das besser machen würde. Macbeth und seine Lady wollen lediglich auf den Thron, es gibt keinerlei politische Vision.
Lady Macbeth ist Widerpart und symbiotische Ergänzung zu Macbeth. Was ist das für ein Paar?
Die beiden können nur zusammen agieren. Im Moment, wo die Lady nicht mehr da ist, wird Macbeth verrückt und löst sich völlig in seiner Mordlust auf. Sie ist einerseits seine Ergänzung – wir befinden uns ja in einer patriarchalen Struktur, in der die Frau das Supplement zum Mann ist –, ist aber auch diejenige, die den Tatendrang hat. Sie ist die Einflüstererin, aber sie ist auch diejenige, die Macbeth vorwärtsdrängt, weg von den Gewissensbissen, weg von den Gedanken. Zusammen spielen sie die beiden Seiten der Ambition aus: Ich muss es tun, aber ich kann es nicht tun. Es ist interessanterweise das einzige Stück von Shakespeare, in dem es ein solch starkes Paar gibt, ein absolut ebenbürtiges Paar, das sich gegenseitig stützt, anstachelt, tröstet.
Die Lady führt die Einflüsterungen weiter, welche die Hexen begonnen haben. Was sind diese Hexen?
Das ist tatsächlich ein Knackpunkt, das Stück ist in sich ambivalent. Macbeth ist deswegen literaturgeschichtlich nicht nur die erste Kriminalgeschichte, sondern auch der Anfang von dem, was wir als „gothic fiction“, als Schauerliteratur bezeichnen. „Weird sisters“, wie sie bei Shakespeare genannt werden, sind ja keine Hexen, sondern Schicksalsgöttinnen, eher Nornen. Zum einen verkörpern sie die Ideen, die Macbeth in sich hat. Insofern kann man die Hexen als Symptom und Verkörperung sehen: seiner mörderischen Lust als Soldat, seinen politischen Ambitionen, seinem Machthunger und Blutdurst... Es gibt also zwei mögliche Lektüren nebeneinander, das Stückt nährt sie beide. Das ist für das Ende entscheidend. Man hat zwar Macbeth den Kopf abgeschlagen, man weiss aber: Die Hexen sind noch da. Sie können von einer Figur zur andern wandern. Was sie im Kopf von Macbeth ausgelöst haben, könnten sie auch im Kopf von anderen auslösen. Der Tyrann ist tot, aber das Böse ist noch da. Das Stück hat keinen Abschluss gefunden.
Wir haben es mit einem extrem düsteren Stück zu tun. Gibt es ein Gegengewicht?
Shakespeares Zeit ist zutiefst christlich geprägt. Alles hat seinen Platz im göttlichen Heilsplan, jeder Bruch in der Hierarchie ist Gotteslästerung und Verrat an der höchsten Ordnung und muss bestraft werden. Deswegen ist es auch eine Warnung, eine Warnung an Despoten und Tyrannen. Weil es aber diese fantastische Sprache hat, scheint das Stück mit sich selbst zu hadern. Es sind aber auch extrem starke Figuren, die sich entschliessen, ihre Träume zu realisieren. Das ist etwas Grossartiges. Das ist wichtig innerhalb des Realpolitischen zu sehen: Das ist eine grosse Geste, die allerdings scheitert. Sie wollen die Macht, das ist ihr Traum. Das ist eine Mischung aus Grössenwahn und deswegen grossartig – und völlig verblendet und deswegen absolut trist.
Elisabeth Bronfen ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin; sie ist Professorin für Anglistik an der Universität Zürich und seit 2007 Global Distinguished Professor an der New York University.