5. Kammermusikkonzert
«Das Horn ist etwas für Jungen», meinte Sarah Willis’ Lehrerin und schlug ihr vor, Flöte oder Oboe zu lernen. Diese Bemerkung war eine Herausforderung für die in den USA geborene Britin, die in Tokio, Boston, Moskau und London aufwuchs und ihren ersten Hornunterricht im Alter von 14 Jahren erhielt. Nach einem dreijährigen Studium an der Guildhall School of Music and Drama in London setzte Sarah Willis ihre Aus-bildung bei Fergus McWilliam in Berlin fort. 1991 bis 2001 war sie Mitglied der Staatskapelle Berlin und wurde 2001 als erste weibliche Blechbläserin zu den Berliner Philharmoniker berufen. Sarah Willis hat mit vielen anderen führenden Or-chestern gespielt und ist als Solistin und Kammermusikerin in der ganzen Welt aufgetreten. Ihr jüngstes Album Mozart y Mambo ist eine Fusion aus klassischer Musik und kubanischen Rhythmen. Sarah Willis setzt sich leidenschaftlich für die Musikvermittlung ein und nutzt digitale Technologien und soziale Medien, um ein weltweites Publikum zu erreichen. Sie gestaltet mit besonderer Freude die Familienkonzerte der Berliner Philharmoniker. Sarahs Verdienste um die klassische Musik wurden in Grossbritannien auf höchster Ebene gewürdigt, als sie von Ihrer Majestät Königin Elisabeth II. 2021 zum MBE – Member of the Order of the British Empire – ernannt wurde.
Mozart y Mambo
Was haben Mozart und Mambo miteinander zu tun? Strenggenommen, also musikgeschichtlich betrachtet, rein gar nichts. Und dabei wäre es sicher auch geblieben, gäbe es da nicht Sarah Willis, ihres Zeichens Hornistin der Berliner Philharmoniker, leidenschaftliche Salsa-Tänzerin und Musikvermittlerin. Ein Kuba-Aufenthalt und eine Masterclass am Lyceum Mozartiano in Havana entfachten 2017 ihre Leidenschaft für kubanische Lebensart und Musik – und den Wunsch, die so unterschiedlichen Welten von Horn und Salsa-Band zusammenzuführen.
«Wir überlegten uns nachts in einer Bar, was Mozart gemacht hätte, wenn er auf der Insel gewesen wäre», so die Musikerin. «Welche Rhythmen hätte er in seine Musik integriert? Und welche Melodien hätte er aufgeschnappt?» Durchaus eine naheliegende Überlegung: Schliesslich war der Wiener Klassiker zeit seines Lebens äusserst weltoffen und interessiert an fremden Kulturen und Stilen. Bestes Beispiel dafür sind seine Janitscharenmusiken in der Entführung aus dem Serail und das berühmte «Rondo alla turca» aus der A-Dur-Klaviersonate. Keine Frage, Mozart hätte genauso gut ein «Rondo alla Rumba» schreiben können, hätte ihn sein Lebensweg in die Karibik geführt.
Gemeinsam mit dem Havana Lyceum Orchestra entstanden in den Folgejahren verschiedene Einspielungen der Hornkonzerte Mozarts und darüber hinaus mehrere Stücke, in denen das Horn mit der traditionellen kubanischen Bandbesetzung experimentierte. Das wiederum war die Geburtsstunde für Sarahbanda, die erste und vermutlich einzige Salsa-Band mit Horn, Saxophon, Bass und Rhythmusgruppe, ein echtes Novum, das auch musikalisch ganz neue Horizonte eröffnete.
Dabei stellte sich zunächst die Frage, wie sich berühmte Melodien aus der Feder Wolfgang Amadeus Mozarts in den kubanischen Kontext integrieren lassen. Jorge Aragón und Edgar Olivero fanden die Antwort darauf in ihren Arrangements verschiedener Themen: aus der Zauberflöte (das berühmte Duett zwischen Papageno und Papagena), der Kleinen Nachtmusik («Sarahnade mambo») und aus dem Rondo des dritten Hornkonzerts KV 447 («Rondo alla Rumba»).
Umgekehrt wird das Horn zum Mitspieler in einer ganzen Reihe grosser Kuba-Klassiker. Da ist zum Beispiel Chucho Valdés, seit Jahrzehnten ein Urgestein der kubanischen Musikwelt. Sein Mambo Influenciado ist ein Musterbeispiel für die rhythmisch hochkomplexe Synthese aus Latin und Modern Jazz. Nicht weniger berühmt ist Contigo en la Distancia, ein Bolero, den der kubanische Musiker César Portillo de la Luz 1946 komponierte. Heute ist er einer der bekanntesten Boleros mit einer Interpretenliste, die von Pablo Milanés und Joan Manuel Serrat bis hin zu Christina Aguilera reicht. Übertroffen wird dies nur von Moisés Simons Manisero, der schon in den 1930er-Jahren als «Peanut Vendor» einen «Rumba craze» in den USA auslöste.
Auch Dos Gardenias ist ein unsterblicher Havana-Klassiker. Weltweite Berühmtheit erlangte der Titel 1997 durch Ry Cooders Musikprojekt «Buena Vista Social Club», in dem Stars der 1950er-Jahre wie Ibrahim Ferrer, Compay Segundo und Rubén González auftraten. Die filmische Dokumentation von Wim Wenders überhöhte den sagen¬haften Erfolg. Neben diesen Klassikern gibt es gänzlich neue Titel: Yuniet Lombidas «Guajira Sencilla» ist ein solches original Horn-plus-Salsaband-Arrangement, das Sarah Willis und ihrer Sarahbanda eigens auf den Leib geschneidert wurde. Und möglicherweise gibt es noch weitere Encores …