Liebe Gäste, herzlich willkommen! Lassen Sie sich bedienen, nehmen Sie noch ein Gläschen, lassen Sie uns anstossen! Wir befinden uns an der Villa Morillon, einem aristokratischen Prunkstück erster Klasse.
Das Gelände wurde erstmals im 18. Jahrhundert erschlossen, damals als Maison de Campagne ausserhalb der Stadtgrenzen von Bern: Rudolf Emanuel Frisching, Herrschaftsherr von Rümligen, liess hier im Morillonpark seinen Landsitz mit angefügtem Ehrenhof errichten. Die heutige Villa wurde im Sommer 1831 fertiggestellt, nun im Besitz von Friedrich Ludwig von Wattenwyl, verheiratet mit Alette Sophie Rosina von Frisching, die von ihrem Vater das alte Morillon übernommen hatte. Neben dem imposanten Hauptgebäude, der Villa Morillon, stehen auf dem Areal heute ein Landhaus, ein Kutscherhaus und ein Pförtnerhaus. Das Ensemble ist umgeben von einer grosszügigen, im englischem Stil gehaltenen Gartenanlage, die die Villa vor Einblicken schützt.
Aber wen schützt sie – und vor wem? Wer sind die, die geschützt werden sollen? Und warum? Beinahe 300 Jahre lang waren die Villa Morillon und der sie umgebende Park Privatgelände und nicht zugänglich. Zuletzt wurde sie von einem einzelnen Mitglied einer Berner Patrizierfamilie bewohnt. Vergangene Zeiten? Mitnichten.
Der Ort ist Zeuge einer Gesellschaft, die einen Unterschied macht zwischen den sozialen Zugehörigkeiten von Menschen und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Möglichkeiten. In welche Herkunftsfamilie wir geboren werden, in welchem Milieu wir aufwachsen und sozialisiert werden, macht einen Unterschied darin, welche Möglichkeiten uns im Leben zur Verfügung stehen. Die Grenze zwischen den sozialen Schichten ist häufig schwer zu greifen: «Wir leben in einer Gesellschaft, die so tut, als gäbe es keine Klassen mehr – dabei zählt unsere Klassenherkunft vom ersten Atemzug an», schreibt Kulturanthropolog*in Francis Seeck. Wer Klassenunterschiede negiert oder für überholt hält, führt Seeck weiter aus, gehört der herrschenden Klasse an. Klassenherkunft ist nach wie vor entscheidend für berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, Klassenwechsel sind äusserst selten – und dabei begleitet von Gefühlen der Scham und der Nichtzugehörigkeit zu beiden Klassen, der Herkunft wie der neuen Schicht. Die Verinnerlichung von Klasse beginnt sehr früh: Der Soziologe Pierre Bourdieu nennt das den «Habitus», die Kenntnis von (körperlichen) Codes ebenso wie Sprache, mittels deren wir uns in sozialen Räumen bewegen können. Über das Thema der sozialen, politischen und kulturellen Teilhabe hinaus hat Klassismus greifbare physische Konsequenzen: Er führt dazu, dass einkommensarme Menschen statistisch zehn Jahre früher sterben als reiche. Reichtum entsteht bis heute weniger durch eigene Lohnarbeit, sondern durch Erbschaft. Allein im letzten Jahr wurden in der Schweiz 90 Milliarden Franken vererbt.
Als Metapher dient die Geschichte der Villa dieser Inszenierung, um über die Voraussetzungen einer Liebesbeziehung nachzudenken. Was für Konflikte entstehen, wenn Romeo und Julia nicht – wie im Original – aus verfeindeten Familien stammen? Sondern wenn ihre soziale Herkunft ihnen im Weg steht und Fragen danach stellt, wie wir unsere Liebespartner*innen finden und auswählen. Wer kommt für uns in Frage? Welche Konflikte und Herausforderungen stehen im Raum, wenn eine Liebesbeziehung über soziale Klassen hinweg stattfindet? Soziologin Eva Illouz beschreibt in ihrer Auseinandersetzung mit Gefühlen in Zeiten des Kapitalismus die Konventionen, mit denen die Gesellschaft auf Liebesbeziehungen blickt. Wir sind keineswegs gesellschaftlich losgelöst in unserer Art und Weise zu lieben. Die Wahl unserer Partner*innen, das Kultivieren unserer Beziehungen wird beobachtet, begutachtet und bewertet, durch die Gesellschaft von aussen und unsere Sozialisierung von innen. Wofür Romeo und Julia aber in aller kritischen Betrachtung dennoch stehen darf, ist eine grosse Hoffnung: Hat Liebe nicht das Potenzial und die Kraft, Mauern zu überwinden, über Klassen und Konventionen hinaus?
In diesem Sinne: Auf die Liebe! Prost!
Ihre Elisa Elwert
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Aufgrund der schlechten Witterung kann die heutige Vorstellung von Romeo und Julia leider nicht stattfinden.