Klarinette und Laute – historisch betrachtet sind das getrennte Welten: Die Laute ist eines der bedeutenden Instrumente des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie steht unter anderem für die Musik des Elisabethanischen Zeitalters und die frühbarocke Musik in Italien. Auch im Basso continuo spielt sie eine wichtige Rolle, und noch im Schaffen Johann Sebastian Bachs finden sich ein paar Spätausläufer dieser Hochkultur. Und die Klarinette? Sie ist eher eine Spätgeburt der Musikgeschichte. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts baute Johann Christoph Denner ein Vorläufer-Instrument. Aber so richtig Fahrt nahm die Geschichte der Klarinette erst mit Anton Stadler, Wolfgang Amadeus Mozart und dem berühmten Klarinettenkonzert KV 622 auf. In der Romantik und im 20. Jahrhundert entstanden schliesslich viele bedeutende Werke, ganz abgesehen von der enormen Popularität, welche die Klarinette etwa im Jazz geniesst.
Alter Ego, das gemeinsame Programm von David Orlowsky, Klarinette, und David Bergmüller, Laute(n), stellt also ein echtes Novum dar. Dabei lässt sich konstatieren, dass die beiden Instrumente klanglich kaum besser passen könnten: «Wir waren […] wirklich überrascht, wie gut sich das Obertonspektrum von Laute und Klarinette ergänzt. Wir nehmen uns einfach nichts weg. Es fängt manchmal auf eine Art an zu schweben, die man gar nicht so richtig erklären kann, die uns aber auch immer wieder dahin gezogen hat», sagt David Orlowsky. Alter Ego, das meint ein anderes Ich, eine weitere Bewusstseinsschicht, aber auch enge Gefährten – ganz in diesem Sinne werden Klarinette und Laute hier zum gegenseitigen «alter ego». Dabei besitzt Alter Ego viele Facetten: Da sind zum einen die Eigenkompositionen der beiden Musiker, zum anderen berühmte Arien aus der Zeit des Barock.
Eileen entstand als Eigenkomposition aus einer spontanen Improvisation während einer Kaffeepause, die sich sofort als musikalische «Goldader» entpuppte. Über die Zeit entstanden viele weitere Eigenschöpfungen, die sich aus dem experimentellen Zusammenspiel der beiden Musiker entwickelten, sich in langen Prozessen immer mehr verdichteten und damit konkrete Gestalt annahmen – etwa Zeitfaltung und Napoli Sketch 2. Letzterer baut auf einem Pattern der Laute auf, das sich allmählich weiterent-wickelt und damit wiederum neue Impulse für die Klarinette bringt. In Serendipity ist es die Klarinette, die beginnt, ehe die Laute zart entsteigt. Ada steigt schliesslich äusserst liedhaft ein und fliesst wie eine unendliche Melodie immer weiter.
Das berühmte Lamento der Dido, eine der schönsten Vokalkompositionen des Barockzeitalters und imposanter Abschluss in Henry Purcell Oper Dido and Aeneas, zeigt die gesanglichen Tugenden der Klarinette. Music for a While beginnt als quasi wörtliche Transposition des Originals, mündet dann aber in eine freie, instrumental gedachte Passage, die damit einen reizvollen Kontrast bildet. Erst ganz am Schluss wird das Original noch einmal angedeutet. Nicht weniger erstaunlich sind die starren Akkorde des Cold Song aus Purcells King Arthur, eine Musik am Rande der Stille und Erstarrung. Auch hier löst sich das Arrangement stellenweise vom Original und findet zu einem besonderen Eigenleben. In Kapsbergers Toccata arpeggiata schliesslich entfaltet die Laute ihre virtuose Kraft, erst sehr viel später tritt die Klarinette unterstützend hinzu. Gerade dieses Stück zeigt noch einmal, wie vielfältig die Arrangements der beiden Musiker sind.