«Die Musik wird für Felix vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, immer Bildungsmittel, Grundbaß Deines Seins und Tuns werden kann und soll. Ihm ist daher Ehrgeiz, Begierde, sich geltend zu machen in einer Angelegenheit, die ihm wichtig vorkommt, weil er sich dazu berufen fühlt, eher nachzusehen», schreibt Abraham Mendelssohn in einem Brief vom 16. Juli 1820 seiner 15-jährigen Tochter Fanny. Während Felix – der jüngere Bruder – im Laufe seines Lebens ein international gefeierter Komponist und Leiter des Leipziger Gewandhauses wird, muss sich Fanny ihr musikalisches Lebensumfeld gegen viele Widerstände aufbauen. Als Pianistin und Dirigentin ist sie weithin bekannt, als Komponistin dagegen bleibt sie ungehört. Erst in den letzten Jahrzehnten erfährt ihr kompositorisches Lebenswerk allmählich die verdiente Anerkennung.
Das Es-Dur-Quartett von Fanny Hensel (wie sie nach der Heirat mit dem angesehenen Hofmaler Wilhelm Hensel hiess) datiert aus dem Jahr 1834. Es ist allem Anschein nach das überhaupt erste von einer Frau komponierte Streichquartett der Musikgeschichte. Das Werk zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Form aus. Am Anfang steht ein ausdrucksvolles Adagio ma non troppo, an zweiter ein energiegeladenes, teils kontrapunktisch gesetztes Allegretto. Beide bilden eine Art Vorspiel zur nachfolgenden Romanze, dem expressiven Kernstück des Quartetts. Hier überraschen nicht zuletzt die kühnen harmonischen Fortschreitungen. Das Finale, ein Allegro molto vivace, sorgt für einen fulminanten Abschluss.
Zwei Jahre nach dem Tod Felix Mendelssohns gab der Leipziger Dirigent und Komponist Julius Rietz vier Streichquartett-Sätze aus dem Nachlass des Komponisten unter der Opuszahl 81 heraus. Sie entstammen ganz unterschiedlichen Schaffensperioden des Meisters und fügen sich dennoch zu einem sinnvollen und harmoni-schen Ganzen zusammen.
Den Beginn bilden zwei Sätze eines unvollendet gebliebenen Streichquartetts – ein abwechslungsreich gestalteter Variationensatz und ein zartes Scherzo, die offenbar beide aus dem letzten Lebensjahr Mendelssohns stammen. Ihnen folgt ein Capriccio, das wenige Jahre früher entstanden zu sein scheint, elegisch beginnt und dann sehr effektvoll in eine Fuge mündet. Fortgesetzt und abgeschlossen wird dieser meisterhaft kontrapunktische Teil mit einer Fuge in Es-Dur, die bereits 1827 entstand und das Können des jungen Komponisten sehr eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Das Streichquartett f-Moll op. 80, das hier den Abschluss bildet, ist das letzte grosse Werk, das Felix Mendelssohn noch vollenden konnte – zwei Monate vor seinem Tod am 4. November 1847. Es gilt allgemein als eine Art instrumentales Requiem für Fanny, deren plötzlicher Tod im Mai desselben Jahres den Komponisten zutiefst erschüttert hatte. Um sich zu erholen, zog sich Mendelssohn in die Schweiz zurück. In Interlaken beendete er im September 1847 die Arbeit an diesem Werk.
Die schmerzliche Grundstimmung teilt sich von Anbeginn mit. Der Kopfsatz wird bestimmt durch erregte Tremoli, imitatorische Stimmeinsätze und wogende Akkorde. Der zweite Satz – ein Scherzo mit Trio-Teil und einer Coda, die das Trio motivisch noch einmal aufgreift – trägt die erregte Stimmung mit punktierten Rhythmen und fahlen Unisoni fort. Das Adagio entpuppt sich als ausdrucksvoller Klagegesang. Das Finale hat die Gestalt eines Sonatensatzes und greift die motorische Unrast des Kopfsatzes wieder auf – ein klangvoller Satz von geradezu orchestraler Grösse, der den Ausnahmecharakter des Werkes noch einmal sehr eindrucksvoll unterstreicht.