4. Kammermusikkonzert
Das in New York City ansässige Isidore String Quartet, Gewinner des Avery Fisher Career Grant 2023 und der 14. Banff International String Quartet Competition 2022, wurde 2019 mit der Vision gegründet, das Repertoire für Streichquartett neu zu erforschen, wieder zu entdecken und zu beleben. Das Quartett ist stark vom Juilliard String Quartet beeinflusst (auch der Name des Quartetts verweist darauf: Eines der frühen Mitglieder dieser Gruppe war der legendäre Geiger Isidore Cohen). Ihr Triumph in Banff führte zu ausgedehnten Tourneen durch Nordamerika und Europa. Das Isidore String Quartett ist bei grossen Konzertreihen in Chicago, Pittsburgh, Seattle, Durham, Washington (JFK Center), San Antonio, Toronto, Montreal und Ottawa aufgetreten und hat mit einer Reihe bedeutender Künstler zusammengearbeitet, darunter James Ehnes, Jeremy Denk, Shai Wosner und Jon Nakamatsu. Ausserhalb des Konzertsaals engagiert sich das Quartett für das Projekt «Music heals us», das älteren, behinderten, rehabilitierten, inhaftierten und obdachlosen Menschen Ermutigung, Bildung und Heilung bietet.
Nacht & Revolution
«Es ist kein Scherz, Musik zu schreiben. Tiefe ist dazu nötig: eine Art Mystik», – so hat Henri Dutilleux, der vor zwölf Jahren im biblischen Alter von 97 Jahren verstarb, seinen eigenen Schaffensprozess einmal beschrieben. Ständige Überarbeitungen und Retuschen prägten seine Arbeit; vieles vernichtete der Komponist im Nachhinein, nicht zuletzt sein gesamtes Frühwerk aus der Zeit vor 1947. Übrig geblieben sind rund 20 handverlesene Werke, die sich über die Jahre als anerkannte Klassiker der Moderne etabliert haben.
Unter ihnen findet sich auch das Streichquartett Ainsi la Nuit, ein Auftragswerk für die Koussevitzky Music Foundation, uraufgeführt am 6. Januar 1977 vom Quatuor Parrenin in Paris. Ainsi la Nuit beginnt in einer Art traumhaft nächtlichem Dämmerzustand, aus dem heraus nach und nach einzelne Gedanken Gestalt gewinnen. Eingeschoben zwischen diese Abschnitte sind Gelenkstellen, die so-genannten «Parenthèses». Sie beinhalten sowohl Material des vorangegangenen als auch des nachfolgenden Abschnitts. Die einzelnen Sätze folgen ohne Unterbrechung aufeinander; nur einmal, nach dem dritten Satz, entsteht eine bewusste Pause. Das Werk endet mit einem Epilog, in dem die Zeit aufgehoben zu sein scheint.
Vor zehn Jahren erst wurde Gabriella Smiths Carrot Revolution aus der Taufe gehoben. Die elfminütige Komposition für Streichquartett präsentiert sich als Schmelztiegel der Kulturen und weckt vielfältige Assoziationen an Jazz, Rock, Bluegrass, Alte Meister und Minimal Music. Das ein-sätzige Werk gliedert sich in unterschiedliche Phasen, die organisch ineinander übergehen. Unkonventionelle Stil-elemente wie Glissandi, Perckussion, gitarrenähnliche Riffs und geräuschhafte Spieltechniken verleihen den einzelnen Patterns ganz unterschiedliche klangliche Erscheinungs-weisen, die sich weit von der traditionellen Klangwelt eines Streichquartetts entfernen.
Unkonventionell wie dieses Streichquartett wirkt auch die Biographie der jungen amerikanischen Kompo¬nistin. Geboren in Berkeley, schrieb sie bereits mit acht Jahren ihr erstes Werk. Mit 15 wurde sie Schülerin von John Adams. Am Curtis Institute of Music in Philadelphia und in Princeton schloss sie ihre Studien ab. Seitdem lebt Gabriella Smith in verschiedenen europäischen und amerikanischen Städten und engagiert sich neben ihrer kompositorischen Arbeit für Ökologie und Naturschutz, widmet sich Unterwasseraufnahmen, vogelkundlichen Studien und einsamen Exkursionen in die amerikanische Wildnis.
«Mir sind selten die Themen so vorbildlich und buchstäblich zugeflossen. Wenn einem der liebe Gott die Speisen so mundgerecht zubereitet, da braucht man ja nur die Hände auszustrecken», heisst es in einer Notiz Antonín Dvořáks vom November 1895. In den Monaten zuvor hatte der Komponist seinen Posten als Direktor des National Conservatory of Music in New York aufgegeben und war aus der «Neuen Welt» zurückgekehrt. Mit der Ankunft in der geliebten böhmischen Heimat erwachte auch die Inspiration und Freude am Komponieren. Im Dezember lag das G-Dur- Quartett op. 106 vollendet vor.
«Einen schönen Gedanken zu haben ist nichts Beson-deres. Aber den Gedanken gut auszuführen und etwas Grosses aus ihm zu schaffen, das ist das Schwerste – das ist Kunst», lautet ein bekannter Ausspruch Dvořáks. Ganz besonders trifft er auf das Streichquartett op. 106 zu, denn von Bedeutung sind hier nicht allein die genialen Motive und Themen (wie etwa das feierliche Adagio-Thema oder das energetische Motto des dritten Satzes), entscheidend ist vor allem das extrem hohe Niveau der Verarbei¬tung und gestalterischen Konzentration. Formal eigenwillig sind sowohl der Kopfsatz als auch das Finale, das Zitate aus dem ersten Satz in neue Zusammenhänge setzt und zwischen dramatischer Zuspitzung und lösender Reflexion changiert.