Es ist immer wieder erstaunlich: Nur 31 Kompositionen umfasst das Werkverzeichnis Anton Weberns. Neben diesem gestrengen Kanon der offiziellen «Opera» 1 bis 31 existiert eine Reihe apokrypher Werke, die der Komponist später für nicht mehr aufführungswürdig befand. Sie sind darum nicht minder interessant, denn sie dokumentieren die künstlerische Entwicklung der frühen Jahre.
Besonders gilt dies für den langsamen Satz für Streichquartett, ein offensichtlich Fragment gebliebener Entwurf. Er datiert aus dem Jahr 1905 und damit aus einer jugendlichen Phase, die massgeblich inspiriert war von der Begegnung mit Gustav Mahler, einer intensiven Beschäftigung mit dem frankoflämischen Renaissancemeister Heinrich Isaac und dem ersten Privatunterricht bei Arnold Schönberg – eine Zeit des Sturm und Drang, in die nicht zuletzt die leidenschaftliche Beziehung zur Cousine und späteren Ehefrau Wilhelmine Mörtl hineinspielte.
Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass der langsame Satz für Streichquartett alles andere ist als ein radikal verdichtetes Werk der Zweiten Wiener Schule. Ganz im Gegenteil: Hier dominieren von Anbeginn an leidenschaftliche Töne, spätromantische Klänge, einprägsame Melodien und eine klare Formgebung. Die leisen Klangbezirke und die kunstvollen motivischen Abspaltungen des Hauptthemas erscheinen dagegen wie Vorboten späterer Meisterschaft und Vollendung.
Sein drittes Streichquartett komponierte Dmitrij Schostakowitsch 1946, kurze Zeit nach der Vollendung der 9. Symphonie, deren wenig heroischer Ton Stalins Unmut erregt hatte. Der Komponist legte daraufhin eine symphonische Schaffenspause ein und verlegte sich auf die Kammermusik – auch hier mit klarem Bezug zu den Schrecken des «grossen vaterländischen Krieges».
Ursprünglich sollten die einzelnen Sätze Überschriften tragen: «Gelassene Unwissenheit über die bevorstehende Katastrophe«, «Anzeichen von Unruhe und Erwartung», «entfesselte Kriegskräfte», «Hommage an die Toten» und für den Schlusssatz «Die ewige Frage nach dem Warum und Wozu». Diese Überschriften hat Schostakowitsch später gestrichen, dennoch wirkt seine Musik programmatisch und sprechend. Das gilt für das eulenspiegelhafte Thema des Kopfsatzes genauso wie für die triviale Marschmusik im Allegro non troppo und den tiefgründigen Ernst des vierten Satzes.
Im Sommer des Jahres 1873 schuf Johannes Brahms zwei Streichquartette, die er unter der Opuszahl 51 zusammenfasste. Tatsächlich sind diese beiden Werke seine ersten Beiträge zur Gattung des Streichquartetts, das – wie die Symphonie auch – seit Beethovens Spätwerk zur musikalischen Königsdisziplin avanciert war, sehr zum Schrecken aller Nachgeborenen. «Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört», schreibt Brahms dem befreundeten Dirigenten Hermann Levi.
Wie sehr Beethoven Dreh- und Angelpunkt dieser Werke ist, zeigt sich gleich im Kopfsatz des c-Moll- Quartetts: Nach Beethoven’schem Vorbild werden zwei Themen exponiert, deren gegensätzlicher Charakter bestimmend für die Entwicklung des Satzes wird. Das Andante ist liedhaft in den Rahmenteilen und ungaresk im Mittelteil (Brahms zitiert hier sogar seinen zweiten Ungarischen Tanz). Auch der dritte Satz trägt slawische Züge. Höhepunkt des Quartetts ist das Finale, das mit kontrapunktischen Passagen aufwartet und dem Werk zu einem überaus erhabenen Abschluss verhilft.